Letzte Woche gabs wieder eins meiner Lieblingsseminare: „Bye, bye, Bescheidenheit – raus auf die Bühne!“ mit Politikerinnen (Friedrich-Ebert-Stiftung SPD). Wie der Titel schon vermuten lässt: Es geht um gelungene Eigen-PR auf der Bühne, sei es wörtlich genommen bei Vorträgen oder Podiumsdiskussionen, sei es „Bühne“ im übertragenen Sinne.

Anfangs gabs die Runde „Was möchte ich lernen und üben?“. Eine Teilnehmerin sagte, sie wolle unbedingt üben, wie sie ruhig und sachlich auch bei persönlichen Angriffen bleiben kann. Ein uns allen bekanntes Problem, nicht wahr?

Sie durfte sich das Setting aussuchen, in dem wir möglichst realitätsnah üben können. So bestimmte sie, in einem Rollenspiel folgendes Szenario auszuprobieren: Sie hat einen Termin bei ihrem Landtagsabgeordneten und möchte von ihm eine Zusage dafür bekommen, dass künftig Menschen, die ihre Angehörigen daheim pflegen, mehr Unterstützung von der Politik erfahren.

Gesagt getan – ich hab den Landtagsabgeordneten gespielt, so einen richtig arroganten, ekelhaften, gänzlich uninteressierten Sack (das ist immer DER Moment in Seminaren, wo endlich auch ich mal die Sau rauslassen kann! Ich kann das ziemlich gut *gg*). Ich war also so richtig nervig: Faselte nur ständig was von „Gute Frau, das tut mir natürlich sehr leid, aber Sie müssen mich auch verstehen: Das neue Industriegebiet ist wichtiger!“, ich schaute sie nicht an und oft entnervt auf die Uhr – so richtig die willkommene Herausforderung für die Teilnehmerin also.

Erste Runde: Ich legte los und sie versank zusehens stumm im Stuhl – der „Landtagsabgeordnete“ hatte leichtes Spiel. Sie war völlig überfordert und brach bald ab. Dann kam die Feedback Runde: Die anderen sagten natürlich, sie hätte sich viel zu schnell mundtot machen lassen, sei viel zu brav gewesen. Die Teilnehmerin meinte:

Ja, ich war ihm nicht gewachsen, dem Idioten! Man muss da doch höflich bleiben und deshalb hab ich ihn ständig brav ausreden lassen und kam einfach nicht dazwischen. Innerlich hab ich gekocht vor Wut!“

Erstaunen in der Runde – von „innerlich vor Wut gekocht“ habe man nullkommanix gemerkt. Sie möge dieser Wut doch bitte beim nächsten Mal mehr deutlichen Ausdruck verleihen.

Zweite Runde, nachdem sich die TN innerlich ein paar Minuten vorbereitet hat: Sie setzte sich schon ganz anders hin – direkt dem Landtagsabgeordneten gegenüber. Konfrontation! Ich als „er“ fing also wieder an mit großspuriger Arroganz .. und wurde nach 2 Sätzen sofort unterbrochen von ihr! Ihre Stimme war lauter, sie unterbrach mich, wiederholte mehrfach die konkrete, knappe Frage, was ich zu tun gedenke. Mir wurde deutlich unwohler als beim ersten Mal – sie hatte den Landtagsabgeordneten geknackt!

Feedback danach: Sie sei deutlich mutiger, bestimmter und im guten Sinne unbequemer gewesen. Sie hätte eine klare, laute Stimme gehabt, ihre ganze Körpersprache hätte gezeigt, wie wütend sie gewesen sei – großes Lob von allen!

Ihr großes Problem damit:

Ja, mag schon sein. Aber ich hasse es, so unhöflich zu werden! Das muss man doch auch ruhiger und gelassener hinkriegen. Und das will ich doch lernen! Seit Jahrzehnten will ich das lernen!“

Wir waren perplex! Da haben wir ihr gerade -zig Stärken aufgezählt, die sie bei der 2.Runde an den Tag gelegt hat … und nix davon kam bei ihr an. Ich fasste das in folgendem Bild zusammen:

Es ist so, als ob Du Italienisch, Englisch, Spanisch, Russisch und Chinesisch fließend sprechen könntest – und darüber klagst, dass es mit dem Japanischen aber noch nicht so recht klappt!

Fazit und mein Impuls für Sie, liebe Leser:

Seien Sie sich mehr als bisher Ihrer Stärken bewusst und schielen Sie nicht ständig nach den ach so vielen Schwächen! Wir leben in der berühmt-berüchtigten Selbstoptimierungs-Gesellschaft und gucken viel zu oft danach, was noch ein bisschen besser gehen könnte, wo ich noch nicht perfekt bin.

Stattdessen sollten wir uns viel mehr mit unseren Stärken beschäftigen und die ausbauen, stärken und auf andere Lebensbereiche ausweiten. Zum einen macht das viiiiel mehr Spaß, als sich ständig mit seinen Schwächen zu beschäftigen. Und außerdem werden wir dann in diesen Bereichen irgendwann wirklich exzellent, stechen also wirklich hervor mit diesen Eigenschaften bzw. Stärken! Wenn ich mit Widerwillen und Disziplin an meinen Schwächen arbeite, dann werd ich da vielleicht irgendwann mal normales Mittelmaß, dann kann ich das so gut wie viele andere auch. Klingt doch nach einem guten Deal, oder?

Stärken Sie also Ihre Stärken!

Und holen Sie sich viiiiel häufiger, als Sie es im Zweifelsfalle tun, Feedback von außen! Fragen Sie jeden, der nicht bei drei auf dem Baum ist! Wenn Sie den aktuellen Projektstand referieren im Team-Meeting: Bitten Sie vorher einen Kollegen, er möge doch ein bisschen darauf gucken und Ihnen hinterher Feedback geben. Fragen Sie Freunde, Kollegen oder Kunden, was Sie deren Meinung nach besonders auszeichnet. Je größer nämlich die Schnittmenge aus Selbst- und Fremdbild ist, desto sicherer können Sie agieren. Wenn Sie wissen, was Ihre Umgebung von Ihnen hält, dann fürchten Sie lang nicht mehr so heftig die Reaktionen. Dann können Sie die großen schwarzen Ungeheuer verscheuchen, die ständig „Oh Gott, das war jetzt sicher fürchterlich. Ich hab sicher nur gestottert/viel zu leise geredet/keinen angesehen etc. etc..!“ murmeln.

P.S. Für die Teilnehmerin gabs noch eine besonders berührende Wende: Ihr wurde klar, dass sie als Kind schon offenbar mit all diesen Stärken ausgestattet war – laute, klare Stimme, konfrontieren können, deutliche starke Körpersprache – und aber ständig hörte: „Sei still, sei nicht so aufmüpfig, lass die Erwachsenen aussprechen.“ Und das wirkt jahrzehntelang so stark nach, dass sie es lernen wollte, „immer höflich, souverän und ruhig zu bleiben.“ Wie sehr doch unsere Kindheit prägt!

Und sie merkte: Von diesem Ziel verabschiedet sie sich jetzt ein für alle Mal. Weil manchmal Kinderstube und Höflichkeit einfach nicht weiterbringt und einfach Mist ist. Weil sie sich mehr auf das konzentrieren möchte, was sie immer schon gut konnte. Sie freut sich drauf!