Mit Freuden mache ich wieder mit bei einer neuen Blogparade von Stephan Stockhausen und seiner Manufaktur für Wachstum, diesmal geht es um Fortschritt in Beziehung.  Als ich darüber nachdachte, was Beziehungen in Unternehmen verbessern kann und was das Ganze mit Selbst-Bewusstsein, meinem Kernthema, zu tun hat, kam mir als erstes in den Sinn:

Redet mehr miteinander!
Vielleicht denkt sich jetzt eine Leserin:  „Ach! Das ist ja mal ganz was bahnbrechend Neues. Gähn!“
Oder es läuft einem Leser ein Schauer über den Rücken und er schüttelt entnervt den Kopf: „Oh Himmel, nicht noch mehr reden, es wird doch eh schon zuviel gequatscht und gesprächskreist!“
Und da ich mehr und mehr in letzter Zeit verliebt bin ins Geschichen erzählen statt ins Rat geben: Hier kommen zwei Geschichten aus meiner Arbeit als Team-Coach. Sie illustrieren, was ich meine mit diesem „Redet miteinander!“

Selffullfilling Prophecy – die große Falle des Schweigens

Eine kleine Firma, 15 Mitarbeiter. Ich arbeite seit längerem immer mal wieder als Coach dort. Eines Tages ruft mich die Chefin völlig entnervt an und sagt:

„Frau Stackelberg, wir brauchen Sie. Ich hab die Nase voll von dieser ewigen Zickerei zwischen Frau x und Frau Y. Entweder giften sie sich an oder sie gehen sich aus dem Weg oder sie beschweren sich bei mir übereinander. Hilfe!“

Die beiden Mitarbeiterinnen waren einverstanden damit, dass ich vermittle. Wir trafen uns also zu dritt. Frau X begann zu erzählen:

„Seit dem letzten Sommerfest bist Du so komisch. (Dieses Gespräch fand im Winter statt – 7 (!!!) Monate nach dem Sommerfest). Du bist nicht mehr so offen zu mir, schaust mich oft so grimmig an oder meidest mich total. Und das verunsichert mich und macht mich zunehmend sauer.“

Frau Y antwortete:

„Stimmt, beim Sommerfest war ich echt sauer auf Dich, weil Du mich hinterher die ganze Aufräumerei hast machen lassen. Wir hatten vereinbart, das zu zweit zu tun und plötzlich warst Du weg, bist mit den Kollegen in den Biergarten abgehauen. Aber ich hab mich schnell wieder beruhigt und jetzt ist schon längt alles wieder ok für mich. Ich wundere mich nur, warum Du mich manchmal so komisch anguckst.“

Frau X:

„Nein das stimmt nicht. Du bist immer noch sauer. In den letzten Wochen kannst Du mich gar nicht mehr angucken und heulst bei jeder Kleinigkeit los – da liegt noch was im Argen, gibs doch zu.“

Frau Y:

„Das hat ganz andere Gründe. Vor einem Monat ist mein Vater gestorben.“

Stille!
Was war passiert? Richtig! Sie haben nicht miteinander geredet. Vielmehr erst jetzt, 7 Monate später, und erst auf Geheiß der Chefin.
Die eine merkt, dass die andere sauer ist. Sie spricht sie aber nicht darauf an, sondern wartet erstmal lieber ab. Vielleicht hat sie sich ja getäuscht. Deshalb wartet sie und beobachtet die Kollegin ganz genau. Und da sie das früher nie so explizit gemacht hat, fallen ihr 1000 Kleinigkeiten auf. Kleinigkeiten im Alltag, die sie – Willkommen, selffullfilling prophecy! – in ihrer Meinung bestätigen: Die Kollegin mag sie nicht mehr und sie hat keine Ahnung, warum. Und deshalb findet sie diese Kollegin immer doofer – schließlich ist sie sich keiner Schuld bewusst. Und sie bezieht jeder Gefühlsäußerung der Kollegin auf sich, so auch die Tränen. Und ärgert sich noch mehr, weil die dumme Kuh nicht mit der Sprache rausrückt. Das wiederum merkt die Kollegin und reagiert ihrerseits verschnupft. Und aus ehemals guten Kolleginnen werden sich-gegenseitig-belauernde Frauen.
Und wie hätten sie sich 7 Monate Terz ersparen können? Genau! Reden!
Frau X hätte sofort, als ihr eine Veränderung bei Frau Y auffiel, fragen können: „Ist was? Sollten wir reden?“ Und nicht erst abwarten und lauern und immer schlechter gelaunt sein und Zeichen falsch deuten. Reden!

Meine Prioritäten sind anders!

Zweite Geschichte: Ein Customer Service Team – 8 Männer und Frauen im Callcenter eines Pharmaunternehmens. Super stressiger Job, Schichtdienst, ständig hochkomplexes Reklamationsmanagement, wenig Anerkennung von außen. Ein Kollege, Thomas ist seit zwei Jahren dabei. Das erste Jahr arbeitete er Vollzeit, dann ging er auf 20 Stunden runter – und zieht sich seitdem immer mehr den Groll der anderen zu. In der Kaffeeküche fallen Sätze wie:

„Der denkt auch nur an sich. Wir schieben hier ständig Überstunden, weil wir unsere Arbeit ernst nehmen – und er geht immer ultrapünktlich. Keine Kollegialität –  ist ihm doch wurscht, ob wir immer noch mehr arbeiten müssen deswegen. Wir haben halt viel zu viele Fälle zu bearbeiten, da muss jeder mal ran. Aber dem feinen Herrn ist das ja egal, er geht einfach.“

Das läuft schon mehrere Wochen so, als ich zum Gespräch dazugebeten werde. Zum ersten Mal wird Thomas mit den Vorwürfen konfrontiert. Er hört in Ruhe zu und antwortet dann mit ernster Miene:

„Ich bin kein Kollegenschwein. Aber ich habe etwas gelernt und zwar von meiner Frau. Wir kennen uns seit 10 Jahren, haben gemeinsam mit großem Ehrgeiz unsere Karrieren begonnen und auch beide weitergearbeitet, als unsere Kinder kamen. Sie ist Abteilungsleiterin in einem DAX Konzern. Und vor 14 Monaten kippte sie auf einer Geschäftsreise einfach um. Herzinfarkt.

5 Wochen lang war nicht klar, ob sie überlebt. Ihr habt davon wohl nichts mitbekommen, weil ich da angeblich 3 Wochen in Sommerurlaub war. Der Herzinfarkt war stressbedingt. Heute geht es ihr wieder recht gut, auch wenn sich vieles in ihrem Leben geändert hat. Und ich hab verdammt viel gelernt dadurch. Ich habe gelernt, dass Karriere nicht alles ist. Ich habe gelernt, dass ich nicht erst dann drankomme, wenn alle anderen um mich herum zufrieden sind, wenn ich für meine Firma, meine Kollegen und meine Familie alles getan habe. Und dann wurde bei unserem großen Sohn auch noch ADS diagnostiziert, er braucht viel Unterstützung. Und daher halte ich diese 20 Stunden so eisern ein. Weil ich neue Prioritäten setze. Und ich um nichts auf der Welt daran wieder etwas ändern möchte.“

Stille. Betroffenheit. Eine Kollegin bricht in Tränen aus und sagt: „Hätten wir das bloß gewusst!“.
Thomas hat durch sein familiäres Drama etwas besonders gut gelernt, was offenbar die anderen Kollegen zu wenig können: Auf sich achten, eisern für sich und seine Bedürfnisse einstehen. Daher geht Thomas pünktlich – und daher lassen sich die anderen vielleicht immer mehr und mehr Arbeit aufhalsen.
Also: Redet miteinander! Bitte. So früh wie möglich. Dann klären sich Missverständnisse. Dann bekommt man Antworten und verliert sich nicht in sich-selbst-erfüllenden-Prophezeiungen. Dann lernt man sein Gegenüber erst richtig kennen. Und kann gegebenenfalls Mitgefühl und Wertschätzung zeigen. Dann rückt man näher zusammen. Und dann ändern und verbessern sich Beziehungen.
So einfach ist das. Und oft so schwer.