Die beste Freundin meiner Mutter war Schwedin. Ihr Mann, Arved, war mir als Kind immer ein bisschen unheimlich – auch wenn ich ihn sehr liebte: Ein distinguierter Herr, der 9 Sprachen fließend sprach, stets eine akkurat gebundene Fliege trug und irgendwas mit Politik zu tun hatte. Irgendetwas – ja, wir  wussten bis zu seinem Tod nicht wirklich, was er genau damit zu tun hatte. Er war im Diplomatischen Dienst, reiste um die Welt, dinnierte schon mal mit dem schwedischen König – und arbeitete von morgens bis spät in die Nacht.

Irgendwann fragte ich meine Mutter, warum Arved soviel arbeitet und auf Reisen ist. Ihre Antwort:

Ach weißt Du, ich glaub, er muss das. Nicht, weil das irgendein Chef ihm sagt. Er muss das einfach tun, weil es seine Aufgabe hier im Leben ist. Er fühlt sich dazu verpflichtet, seinen Teil dazu beizutragen, sein Bestes zu geben für diese schwierige Welt – er hat so ein Feuer in sich.

Als 8-Jährige damals hab ich das noch nicht so recht verstanden. Heute, mit 52 Jahren versteh ich das gut: Das mit der Aufgabe, die ich hier auf dieser Welt habe, das zu tun, was getan werden muss – inzwischen kenne ich das selbst gut. Und ich bin dankbar dafür.

Ich möchte aber heut auf ganz etwas anderes heraus. Seit damals, seit Arved aus Stockholm, hatte ich nie wieder direkt mit Politikern zu tun. Seitdem bin ich mäßig politisch interessiert, lese natürlich einiges, schau Nachrichten, hör mir (sehr selten!) die Anne Wills oder Plasbergs dieser Welt an. Und hege und pflege, wie so viele, eine ganze Menge Vorurteile gegenüber Politikern. Machtmenschen! Machtmissbraucher! Können nicht zuhören! Halten sich für den Nabel der Welt! Haben keine Ahnung! Sitzen im fetten Ledersessel, haben nen Chauffeur und sind überbezahlt.

Sie kennen das. Ich gebs zu: Häufig dachte ich so.

Bis ich am 1.September diesen Jahres eines besseren belehrt wurde. Die Münchner Grünen organisierten einen Abend mit Cem Özdemir und ich war die Moderatorin. An diesem Abend erlebte ich, wie Politiker auch sein können. Nämlich so ganz und gar anders, als meine Vorurteile mir dies bislang diktierten. Ich erlebte viele Menschen der Münchner Grünen, die enorm sympathisch, einander sehr herzlich verbunden und vor allem unglaublich engagiert sind.

Junge Frauen wie Julia Post, die neben der eigenen Unternehmensgründung (tolle Idee übrigens, wie ich finde!), einem Fernstudium und ihrer Arbeit bei einem Bundestagsabgeordneten auch noch Vorstandsmitglied bei den Münchner Grünen ist. Und Männer wie Dieter Janecek, Bundestagsabgeordneter und Wirtschaftpolitischer Sprecher der Fraktion der Grünen. Ihm folgte ich nach diesem Abend auf Twitter und bekam mit, welch Parcour de force so ein Wahlkampf ist. Tage, an denen er von 5 verschiedenen Veranstaltungen twitterte, vom frühmorgendlichen Wahlkampfstand im strömenden Regen in der Innenstadt über die Fahrradkundgebung bis hin zum letzten Tweet weit nach Mitternacht aus einer Kneipe, in der noch intensive Wahlkampf Debatten liefen.

Und ich traf Cem Özdemir. Der Mann war mir immer schon sympathisch. Und jetzt weiß ich auch, warum. Ich lernte einen sehr höflichen Mann kennen ohne jedliche Starallüren, der sehr deutliche, teilweise polarisierende Standpunkte vertrat und scharf mit politischen Gegnern ins Gericht ging – jedoch ohne unter die Gürtellinie zu gehen. Hart in der Sache, vorbildlich im Ton, die geschliffene Rhetorik höchstens mal mit kluger Ironie und leisen (!!!) Seitenhieben gewürzt. Der nach dem Schlussapplaus und den Abschiedsworten der Münchner Grünen vehement dafür sorgte, dass er das Mikro nochmals bekam – was hatte er also Wichtiges vergessen?

Und bitte nochmal einen Extraapplaus und ein herzliches Danke für die kompetente, reizende Moderatorin!

(Jaha, Frau freut sich da über Kinderstube und Komplimente, ist doch klar *gg*)

Worauf ich hinaus will?

Nun, wieder einmal habe ich selbst erlebt, dass Vorurteile eben Vorurteile sind. Und dass Verallgemeinerungen àla „DIE Politiker sind doch alle gleich!“ eben Quatsch sind. Das ging mir damals schon so, als ich – bis unter die Haarspitzen voll mit Vorurteilen, das erste Mal mit klopfendem Herzen in den Knast ging, um ehrenamtlich für das Projekt Leonhard hier im Münchner Gefängnis Stadelheim zu arbeiten. Ich erwartete durchwegs finstere Gestalten, allesamt Hünen mit rasiertem Nacken und unendlich vielen Tattoos – Männer, bei denen man gern mal die Straßenseite wechselt. Und was erlebte ich: Freundliche Männer, die mir die Tür aufhielten und meine Tasche tragen wollten, die sich mit Handschlag bei mir verabschiedeten, Männer, die was zu sagen hatten, oft klug und interessant – auf jeden Fall keine, vor denen ich mich fürchten müsste. (Nicht umsonst arbeite ich jetzt schon seit 6 Jahren mit großer Begeisterung bei dem Projekt mit, was ich auch häufig schon verbloggt habe )

In nächster Zeit achte ich wieder einmal ganz besonders darauf, nicht zu verallgemeinern. Keine „Die sind so und zwar alle“ Schubladen aufzumachen. Oder zumindest, wenn ich die Menschen schon in solche Schubladen packe aus Unachtsamkeit oder Gewohnheit, die Schubladen offen stehen lasse. Damit die Leut dort wieder rauskönnen.

Offene Schubladen

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