Warum ich mehr und mehr von klassischen Seminaren Abstand nehme

Letzte Woche war ich mal wieder bei meinem Lieblingskunden, der Wesertherme. Eine kleinere Therme, 82 Mitarbeiter, mit Bad, Sauna, Massage, Restaurants und Küche. Seit vielen Jahren begleite ich dort die Führungscrew.

Dieses Mal ging es um die festangestellten Mitarbeiter aus dem Service und der Küche – der Gastro Crew also. In der Abstimmung mit der Betriebsleiterin hörte ich von dem Gerücht, die beiden Abteilungen würden sich nicht sonderlich mögen, es gäbe latente Konkurrenz zwischen ihnen, wer denn nun wichtiger für den Gast sei. Wie das mit Gerüchten so ist: Es ließ sich nicht wirklich ausmachen, wo es her kommt – es waberte einfach schon seit geraumer Zeit durch die Therme.

Mein Auftrag: „Frau Stackelberg, bringen sie die beiden Teams näher zusammen.“

Die zwei Tage begannen.

Und? Peng! Bereits nach 15 Minuten sprach es der erste aus (einer der Köche):

„Eigentlich sind wir ja nicht Service und Küche, sondern das Gastro Team!“

Soweit nun also zu Gerüchten! Wenn nicht miteinander, sondern übereinander geredet wird – Stille Post ist nicht nur ein Kinderspiel, sondern auch ein brandgefährlicher Kommunikationsstil in Unternehmen!

Da gabs also gar keine Konkurrenz zwischen den Teams! Ich spürte auch sofort, dass sich diese 9 Menschen alle gut miteinander verstehen. Nach diesem Start war mir klar: Nix Seminar, nix Übungen, nix Kommunikationsmodelle (vorsichtshalber hab ich das alles mal mit eingepackt) …nein, etwas ganz anderes war dran. Und ich bin immer wieder begeistert und dankbar, dass die Geschäftsführung der Wesertherme für „sowas“ regelmäßig ordentlich Geld in die Hand nimmt.

Ich hab nämlich etwas ganz und gar *Ironiemodus_an*  Spektakuläres  getan: Ich hab schlicht und ergreifend dafür gesorgt, dass die Leute mal ganz in Ruhe, ohne Arbeitstrubel miteinander reden können!

Wie jetzt? Dafür, dass die Mitarbeiter zwei Tage miteinander quatschen, gibt die Therme Geld aus?

Ja! Weil sie nämlich klug ist.

Sich Zeit nehmen, zuhören und reden. Scheinbar die einfachste Sache der Welt.

Denkste!

8 Stunden am Tag zusammenzuarbeiten und  sich dabei aber höchstens mal „Das Glas war nicht sauber!“ oder „Der Tisch 5 möchte zahlen!“ zuzurufen – das ist kein miteinander-reden. Eine Küche, in der an heftigen Tagen 800 Essen zubereitet werden, wo es laut und heiss ist – das ist kein Ort, um sich richtig aufeinander einzulassen.

Wissen Sie eigentlich, wie es Ihren Kollegen im Augenblick so geht? Oder arbeiten Sie zwar seit vielen Jahren mit ihnen zusammen, haben aber eigentlich wenig Ahnung von Ihnen?

„Wie geht es Ihnen gerade so im Job? Welche Baustellen gibt es? Was strengt Sie an/nervt Sie?“ Diese harmlosen Fragen stellte ich den Teilnehmern statt einer Vorstellrunde. Und die Menschen kamen dermaßen intensiv ins Erzählen (und ins einander-zuhören!), dass diese erste Runde bereits 4 Stunden dauerte! Weil es ihnen ein offenkundig großes Bedürfnis war. Weil sie es derart selten (oder nie?) im Arbeitsalltag tun können. Weil sie Vertrauen fassten und sich gerne öffneten.

Eigentlich so einfach, nicht wahr? Dann lassen Sie es uns im Alltag doch immer und immer wieder ein kleines bisschen tun! Weil das nämlich die Grundlage ist für gute Zusammenarbeit – und gute Zusammenarbeit die Grundlage ist für erfolgreiche Unternehmen.

Seien Sie neugierig auf Ihre Kollegen. Nehmen Sie sich Zeit für sie, hören Sie ihnen zu und reden Sie mit ihnen. Und ermöglichen Sie das Ihren Mitarbeitern, wenn Sie Chef sind. Sie werden sehen – dann passiert Magisches, Unerwartetes, Bewegendes.

Eine Teilnehmerin schrieb mir im Anschluss dieses Feedback per Mail:

Ich bin ohne Wissen, was passiert, in diese zwei Tage marschiert, sogar mit einem gewissen Widerwillen. „Was soll das, was soll das bringen, so waren meine ersten Gedanken. Und dieses Seminar war einfach Wahnsinn. Ich hatte gleich das Gefühl, man könne alles sagen und trotz der anwesenden anderen Kollegen war überhaupt keine Hemmschwelle da. Als ich gestern heim bin, war ich noch so voller Kraft und Energie wie lange nicht mehr und auch abends noch putzmunter.

Da haben Kollegen Dinge voneinander erfahren, die sie nicht wußten, obwohl sie teilweise seit 9 Jahren miteinander arbeiten. Da erkannten viele: Nicht nur mir geht es so, nicht nur ich habe mit diesem oder jenem Probleme. Sie tauschten sich aus. Hörten sich zu. Halfen und unterstützen sich. Lachten miteinander und dachten miteinander nach. Zeigten Mitgefühl, Sorge, Freude füreinander.

Was glauben Sie wohl, wie diese Menschen in Zukunft miteinander arbeiten werden? Was wird wohl passieren, wenn wieder einmal irgendwelche Tratschtanten/onkel in der Therme versuchen, einen Keil ins Gastroteam zu treiben?

Ach ja – und das ist sie, „meine“ Weserthermen Gastro Crew, und gleich noch der Geschäftsführer und die Betriebsleiterin dazu. Mein Lieblingskunde!