©Bettina Stackelberg

Ich war Anfang 20, meine Mutter seit kurzem tot. Mein Vater und ich stritten heftig, eigentlich in diesem Ausmaße das erste Mal im Leben.  Ich konnte endlich ungefiltert, „unvernünftig“, ohne auf die Gefühle und v.a.die sehr angeschlagene Gesundheit meiner Mutter Rücksicht nehmen zu müssen, das zeigen, was in mir tobte. Ich weinte laut, ich schrie auch, ich war geradezu außer mir. Was unendlich weh tat, aber auch befreiend war – sein musste in diesem Moment. Mein Vater verstummte und versteinerte zusehens, irgendwann ging er wortlos. Zwei Wochen hörte ich nichts von ihm. Dann kam ein Brief. Und ein Satz daraus hat mich jahrzehntelang verfolgt, eigentlich bis heute:

„Dieses entgleiste Gesicht von Dir, diese Fratze hat mich tagelang in meinen Albträumen begleitet.“

Noch gar nicht so lange her ist die nächste Episode: Seit langem beschäftigt mich die Einsamkeit. Meine eigene Einsamkeit, aber auch die Einsamkeit als Tabuthema von so vielen Klienten, die erleichtert sind, bei mir darüber reden zu können. Meine eigene Einsamkeit wuchs in den letzten Jahren. In einem Gespräch mit einer mir nicht allzu nahen, aber sehr lieben Bekannten – wir haben lang nicht miteinander gesprochen und sie fragte, wie es mir geht – erwähnte ich eher nebenbei, dass meine Einsamkeit wieder zugenommen hätte. Ich hatte den Satz noch kaum zuende gebracht, da sagte sie schon:

„Also, dagegen müssen Sie etwas tun, sonst werden Sie depressiv. Gehen Sie raus, Sie müssen unter Leute, ja?“

Eine harmlosere, doch nicht minder bezeichnende Situation: Ich bin über irgend etwas oder irgend jemanden sehr wütend und erzähle jemand anderem davon. Sehr schnell kommt die Reaktion (auch von mir, ich nehm mich da gar nicht aus!):

„Ach komm, reg Dich nicht auf!“

Erkennen Sie, was diese drei Geschichten gemeinsam haben?
Da hält jemand meine Gefühle nicht aus. Die in diesem Moment aber da sind. Ob das nun schöne, hässliche, schwierige, leichte oder sonstwie geartete Gefühle sind. Sie sind da. Und wenn sie da sind, sind sie zu Recht da. Aus irgendeinem Grund. Den wir vielleicht im Moment (noch) nicht sehen oder verstehen.

_MG_4159-22121 ©Dorothee Elfring
Warum teilen wir Gefühle so oft in zwei Kategorien ein und bewerten sie dadurch? Die guten schönen Gefühle sollen möglichst lang bleiben: Freude, Begeisterung, Verliebtsein, Rührung, Liebe.
Die hässlichen Gefühle hingegen – Wut, Einsamkeit, Verzweifelt sein – müssen schnell weg! Die tun weh, die sind nicht gut, die sind hässlich, geradezu eine Zumutung, bäh! Also husch husch, raus aus dem Haus! Die Fratze muss schnell wieder freundlich und sanft gucken, die Einsamkeit soll in der Menschenmasse verschwinden und die Wut soll sich bitte schnell wieder beruhigen.
Gefühle erster und zweiter Klasse. Good guys and bad guys.
Eigentlich schrecklich ungerecht, wie ich finde. Gefühle, die da sind, sind da. Punkt. Und wollen erstmal gesehen, vielleicht auch gehört werden. Weil einfach so ohne Sinn und Zweck wären sie nicht gekommen. Dies will gewertschätzt sein. Erstmal. Auch wenn wir natürlich viel dafür tun können und sollen, dass die schmerzhaften Gefühle sich auch wieder verwandeln können. Aber erstmal sind sie da.

Warum bemühen wir uns so schnell und vehement, die hässlichen Gefühle von anderen zu verscheuchen? Weil wir glauben, sie tun dem, der die Gefühle grad hat, nicht gut? Haben wir ihn das vielleicht einfach mal gefragt?
Ist es nicht vielmehr so, dass wir selbst diese Gefühle des anderen nicht ertragen? Weil sie so schwarz, hässlich, bedrohlich sind? Weil wir sie so sehr fürchten oder sie gar selbst so gut kennen? Und uns deshalb um Himmels willen nicht damit konfrontieren wollen? Husch, weg mit Euch, Gespenster!
Wenn aber im Leben beides seinen Platz braucht? Weil nämlich das Leben nicht immer leicht ist und das auch nicht zu sein hat, wie ich hier schon einmal schrieb?
Von meinem Vater hätte ich mir gewünscht, dass er nachfragt, nachdem er sich wieder gefasst hat. Er hätte ruhig sagen können, wie sehr ihn diese Seite seiner Tochter erschreckt hat. Aber er hätte bei mir bleiben müssen, mit all dem Schrecken und Erstarren! Er hätte es aushalten müssen, dass ich so außer mir war, verdammt!
Die liebe Bekannte hätte mir einfach erstmal nur zuhören können. Sie hätte nicht gleich einen Ratschlag geben müssen. Schon gar nicht ungefragt. Weil nämlich der Rat, bei Einsamkeit einfach unter Leute zu gehen, nicht hilft. Weil der einsame Mensch sich das selbst schon hundert Mal gesagt hat. Weil sich der einsame Mensch nicht ernst genommen fühlt dabei.


Bitte lasst uns unsere Gefühle! Alle! Nicht nur die fröhlichen, leichten, hübschen. Gebt allen Gefühlen den Raum, der ihnen gebührt. Hört zu. Bleibt da. Scheucht sie nicht weg. Ertragt sie! Und fragt dann, ob Ihr was tun könnt. Und respektiert unsere Antwort, egal, ob sie Euch angenehm ist oder nicht. Bitte! Danke. ♥